Dienstag, 6. April 2010

Grüße aus Indien

Um 9 Uhr gehe ich zur Metrostation El Behoos, das ist ca. 10 Minuten Fußweg und fahre eine Station bis Doqqi, dort treffe ich auf einen Freund von Denis Dailleux, der mich abholt. Heute machen wir eine Bootsfahrt und Denis versichert mir gern, dass ich diesen oder jenen Ort sehen muss und er hat immer Recht, denn er lebt seit 15 Jahren hier. Im Schlepptau haben wir drei weiter Franzosen, die aber immer hinterher schlendern. Die Herren Fotografen vorweg. Die Sprache an diesem Tag ist Französisch, immer so lange bis ich aufgebe.
Wir nehmen zwei Taxis bis zum Bus, welches uns zum Boot bringt. Das Boot liegt natürlich auf dem Nil und da auch hier Ostern ist bzw. Frühlingsfest (Sham El-Nessim), sind die Boote gnadenlos überfüllt. Es ist wie mit den Autos – alles drückt und drängelt, aber im Ganzen sehr liebevoll und ohne System. Wir ergattern eines. Nach ca. 20 Minuten geht unsere Fahrt dann los und der erste Bollywood-Gedanke kommt, als aus den Lautsprechern heimische Musik schrottet. Die Boxen hier haben gerne mal Höhen und Mitten aber die Bässe sind wohl zu groß, dafür dreht man dann etwas lauter, nein viel lauter bis das Trommelfell merkwürdige Effekte macht. Der Bewegungsdrang des Ägypters ist enorm, hört er nur zwei aufeinanderfolgende Takte, zuckt die Hüfte und die Arme verdrehen sich und die Hände fliegen in die Luft. Das Boot tanzt. Ich bin quasi auf einer großen Tanzveranstaltung gelandet und das alles auf dem Wasser. Irgendwann kommt dann auch das Polizeiboot und ich meine zu erfahren, dass wir zu laut waren, das kostet Strafe. Das Polizeiboot entfernt sich und die Musik setzt unvermittelt mit gleicher Lautstärke wieder ein. Solange man dafür zahlt.

Nach ca. 2 Stunden Ohrenbetäubenden Lärms und Tanzen und Bootschunkeln kommen wir Nilabwärts, sprich weiter nördlich zu einem Staudamm. Da verlassen wir das Boot und plötzlich bekommt man gar keinen Fuß mehr an die Erde. Alle sind sehr flamboyant gekleidet und drängeln sich in den nahegelegenen Park. Der einst dem König gehört hat. Heute ist er zum Großteil noch gesperrt für den Präsidenten, aber Platz zum Sitzen ist ja auch auf der Strasse. Im Park liegen und sitzen die Menschen dicht an dicht, essen eigens für diesen besonderen Tag hergestellte Lebensmittel, wie Raucherfisch und bemalte Eier. Sham El-Nessim ist so ganz ursprünglich eine koptische Angelegenheit. Die Kopten also christliche Ägypter machen 6-10% der Bevölkerung hier aus und werden aber als Minderheit gerechnet. Diesen Tag jedoch begehen nicht nur Christen, das kann man deutlich sehen. Der Brauch kommt tatsächlich noch aus pharaonischer Zeit.
Kultiviert wie überall wo Menschen in Ägypten leben, wirft man seinen Müll halt einfach auf den Boden. Das ist auch schon zuvor auf dem Boot passiert, das alles nicht mehr Brauchbare eben im Wasser landet. Ich ertappe mich das auch tun zu wollen und irgendwie kann ich das nicht, meine ich. Stunden später nach nur etwa 3 überquellenden Mülleimern, gebe ich auf und lege meine leere Wasserflasche verstohlen auf den Boden.
Also Menschen und Müll im Grünen, ein buntes Bild. Wir befinden uns in AnAter inmitten von Pferden, knatternden Mofas, Fußgängern, Kamelen, Kutschen, Tuctucs und Leihrädern, die Dame von Welt fährt gerne mit Stützrädern. Der Ort besitzt einen Riesengarten aus der Zeit von Mohamed Ali (ca. 150 Jahre alt)
Diese dreiräderigen überdachten Gefährte kenne ich auch nur aus Indien, aber heißen sie nun Tuctucs oder Tuktuks. (Sabine bitte hilf mir!)
Wir laufen viele Stunden immer am Wasser entlang, das sehr fruchtbare Ufer ist verzweigt und je einsamer es wird, um so größer werden die Augen, derer die uns sehen. Plötzlich hört man nicht mehr ‚Welcome To Egypt‘ oder ‚Hello. What’s Your Name?‘, sondern ‚I Love Your Blond Hair‘. Die Menschen schauen genauso neugierig, wie wir es sind und wenn wir pausieren stehen alle einfach im Kreis um uns rum und winken, grinsen und schauen. Ich komme mir vor wie ein Popstar. Irgendwann hier im Nildelta gibt es ein riesen Tumult und ein alter Mann läuft kotzend, schreiend und weinend an uns vorbei und man meinte er sei krank. Unverständnis. Dann strömen alle zum Wasser und es gibt plötzlich einige Polizeiboote an einer Stelle im Wasser. Am Ufer großes Gekreische und in diesem Moment wird ein Mann an uns vorbeigetragen, aber von der Straße zum Wasser, er scheint ohnmächtig. An einer Stelle wo viele mutig ins Wasser hüpfen ist etwas passiert. Irgendwann erfahren wir dann, dass er der Vater von zwei Burschen ist, die zusammen mit einem dritten ertrunken sind. Der andere Mann war der Vater des andern Jungen. Drei Kinder, nicht mal Teenager werden aus dem Wasser geborgen, wir gehen. Wir sind erschüttert.

…und nein - ich habe das nicht fotografiert!

Nach diesem Schock laufen wir zurück zu den Booten, die aber schon alle fort sind und wir beschließen zu fragen, was die Rückfahrt nach Kairo mit dem Taxi kostet, denn wir sind 25 km nördlich von Kairo, allerdings wird auch dieser Ort gerne noch zum Großraum Kairo dazu gezählt.
Der Taxifahrer will unglaublich wenig Geld für die Fahrt, aber auch nur deshalb, weil er zwischendurch noch beten möchte. Wir finden das prima und fahren ein Stück, er betet 20 Minuten und dann fahren wir weiter.
Wir essen, wir trinken ein Bier auf dem Dach des Hotel Odeon in der 10. Etage und dann muss ich los, Joghurt auf meinen Sonnenbrand schmieren und die beiden Deutsch, mit denen ich die Wohnung teile, während meine Vermieterin nicht hier ist, verabschieden. Also der Nießer und der Huster sind jetzt leider auch wieder auf dem Heimweg.
Im Austausch für die beiden Jungs bekomme ich dann heute Nacht meine 'Möhrchengeberin' zurück. Morgen muss ich mit dem Mann schimpfen der meine Negative etwas versaut hat und spät gehe ich wieder in die Makan Bar, in der ich schon einige Male war, die mit der Zar-Musik. Ansonsten bleibe ich der Sonne fern, da ist sich der hummerfarbene Pancho sicher.

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