Montag, 10. Mai 2010

Gewissenskonflikte


2010.05.06 Donnerstag
Nachdem ich jetzt drei Tage lang krankes Hühnchen gespielt habe und mein Magen wieder einigermaßen okay ist, es gab wohl einen Virus, der einfach nur einen unendlichen Druck gemacht hat, nichts weiter, beschließe ich mir jetzt die Nacht vorzunehmen. Also tags Schlafen und nachts fotografieren. Die Nacht ist wegen der Lichter recht spannend, außerdem ist mehr Ruhe auf den Straßen, eigentlich ja ist ja auch das was ich suche.

2010.05.07 Freitag
Große Glücksgefühle ziehen ob meiner Entschlossenheit auch heute den Tag und mein Magen spielt immer noch etwas verrückt, eine hinreißende Kombination.
Gerade sitze ich auf dem neu bestuhlten Balkon und schaue gegenüber wieder auf den jungen Mann, der so oft im Fenster liegt und einfach schaut. Den habe ich schon auch in einem Foto verewigt. Mit der Stille und der Gelassenheit mit der er dort steht erinnert mich das immer an ein Spitzweg-Bild. Allerdings ist dieser Spitzweg sehr modern mit Air-Condition versehen.
An diesem Freitag stehe ich also um 7 Uhr auf, um mit Andreas und seinem Assistenten in die Wüste zu fahren. Er hat dort einen Job, nämlich Tiere und eine gestellte Szene zu Fotografieren. Der junge Mann der den Auftrag erteilt hat, gehört zu einer sehr reichen Familie, was man auch schnell merkt, als wir mit einiger Verspätung auf seiner Ranch ankommen. Zig Pferde schauen da aus Boxen, Adler, Falken, Pfaue, Löwen und natürlich einen Baby-Löwen, die große Liebe des Besitzers.
Nach einer Ranchbegutachtung werden wir dann irgendwann in die Wüste gebracht und warten, dass zig Helfer dort Zelte aufbauen, im beduinischen Stil. Das passiert auch und es kommen immer mehr Menschen dazu, die auch gerne einfach da sein wollen, Freunde eben des Auftraggebers. Die ganze Situation wird dann von Andreas fotografisch begleitet: Der Auftraggeber auf seinem Pferd, mit den Tieren und einige Szenen die auch gefilmt werden. Es wird zwischenzeitlich getrunken und gegessen im Zelt. Meine größte Faszination erkenne ich an meinem eigenen Körper, denn den ganzen Tag trinken wir literweise Wasser und trotzdem muss ich nie zum Klo, erst in der Nacht, das klingt sicherlich pubertär, aber ich habe bislang keine Wüstenerfahrungen machen können. Da wir uns noch immer in Kairo befinden, mache auch ich Bilder. Erst in der späten Nacht sind wir wieder in der Zivilisation.

Den Samstag verbringe ich noch wegen eines Sonnenstichs erst mal in Bett, obschon das schwierig ist, den es wir immer heißer. Erst in der Nacht mache ich einen Streifzug über die Insel Zamalek.

Der Sonntag ist gespickt mit Terminen und am Mittag schon treffe ich einen 74-jährigen Bau-Ingenieur, der sehr aktiv ist und mir vieles in einer bestimmten Gegend hier in Doqqi zeigen und erklären kann - natürlich spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Er selbst lebt in Kairo seit 33 Jahren. In der prallen Sonne (43° C waren es dann gestern) zeigt er mir einzelne Gebäude (ehemalige Botschaft der DDR, jetzt Sprachabteilung des Goethe-Instituts) und bringt mich auch noch in die DEO (Deutsche Evangelische Oberschule).
Danach ist echt mal Ruhe angesagt, denn ich habe noch eine lange Nacht vor mir und was ich noch nicht weiß einen großen Gewissenskonflikt.
Um 18.30 Uhr treffe ich mich mit ‚Ota‘ und seinem Cousin und seinem Freund, die mich mit dem Auto zur Hochzeit bringen, zu der ich eingeladen bin von Abanoub, dem jungen Mann, den ich neulich schon auch fotografiert habe und hoffentlich morgen hier zeigen kann. Abanoub ist Christ und seine Freunde und die noch nicht Vermählten auch. Kann man es schon erahnen?
Ich bringe jedenfalls alle zusammen und alle verstehen sich auch prima wie beim letzten Mal und wir trinken Tee irgendwo in Ezbeth El-Nahl, also wieder weit Außerhalb in einer sehr armen Gegend. Abanoub hat mich gestern anrufen lassen, von jemandem der englisch spricht und der mich eingeladen hat, der ist dann auch dabei. Nach Tee und Dominospiel heißt es dann, dass die Einladung eben nur für eine Person sei und dass ich dies sei. Das war Schade, denn ich wollte schon auch meinen neuen kleinen Freund dabei haben. Er hatte aber Verständnis dafür, dass ich doch alleine gehen würde mit den anderen, obschon die Situation blöd war und ich im Normalfall gesagt hätte, dass ich lieber mit ihnen etwas unternommen hätte. Aber so eine Festivität vor der Hochzeit war eben auch nicht zu verachten, außerdem bin ich als Fotograf hier und nicht als Weltverbesserer. Klingt blöd, aber ich habe schon genug Gewissenbisse, da muss ich mir das eben einreden. Mein kleiner Freund wusste aber genau worum es ging und sagte mir das dann auch. Er habe einfach die falsche Religion für ein solches Unterfangen und der kluge Kerl hatte Recht, fand ich noch heraus. Nach 2,5 Stunden musste ich dann aber auch gehen, wegen der letzten Metro. Die Jungs mit denen ich jetzt noch unterwegs bin sind auch total nett und lassen mich nicht mal mein Metro-Ticket selber zahlen, ergo sind beide Parteien nett, aber irgendwie stehe ich auf Integration, wenn man sich schon mag, hier ist das anders und daran habe ich zu Schlucken, aber ich versuche es.
Heute ist schon wieder Montag und es ist etwas kühler und auch windiger als gestern. Heute versuche ich mal wieder die Nacht zu sichten, ob das gelingt wird mir mein strapazierter Körper später noch mitteilen.

1 Kommentar:

  1. Hallo,
    bin über zeit.de auf diesen Blog gekommen und hab jetzt erstmal alle Einträge durchgelesen. Hab mal 2 Monate in Kairo gewohnt und finde deinen Blog deshalb sehr interessant. Ich bin schon auf viele weitere Fotos und Berichte gespannt und auch auf die Diplomarbeit, falls die irgendwie zugänglich sein wird für Interessierte.
    Gruß, Bianca

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