Mittwoch, 5. Mai 2010

Paul, Ahmed and the Explosion of Kids

30.04. Freitag Um 14 Uhr treffe ich mich mit Ahmed Ota. Diesmal zeigt er mir eine kleine Festivität, eine Art Verlobungsfeier auf der Straße. Es ist Tag und die Braut selber ist nicht hier. Eher die Nachbarn und Verwandten und die jüngeren Leute, tanzen und haben Spass mit dem DJ der immer in die laufende Musik spricht und rappt und überhaupt Laustärke! Das ist der Oberhammer. Aber alle freuen sich oder sitzen um die Boxen herum. Es ist so laut, dass man sich die Haare trockenen könnte mit der Schallwelle. Aber hier wachsen auch schon die Kids mit irrsinnigem Lärm auf, also reine Gewöhnung.
Dann trinken wir Tee mit Kotkot einem Freund von Ahmed, sein langer Nagel besagt: er ist Frisör!


Dann beschließe ich mich heute eines kleinen Experiments zu unterziehen. Ich fahre Bus, alleine! Kein Mikrobus, dessen Fahrer einen das Ziel ins Gesicht brüllt. Nein ich nehme heute kein Taxi, denn das kostet mich bis zu mir fast 30 EP. Der Bus bringt mich bis zur Metro und das kostet dann 1,5 EP. Und Busfahren ohne zu wissen wo man aussteigen muss ist für mich eine deutliche Herausforderung, denn irgendwann ist der Bus so voll, dass auch von außen noch Leute dranhängen und stoppen ist ja was für Anfänger. Der Schaffner, den ich nach der Metro frage, bedeutet mir mich zu setzen und ich bemerke er behält mich im Auge, dann gibt er mir ein lapidares Zeichen mit der Hand und ruft, ‚Die Metro, nächste Straße gerade aus`, dann springe ich vom Bus und lande in beschriebener Straße und es leuchtet auch schon in der Ferne das große M der Metro vor mir. Das Springen macht auch noch Spass, den meisten Schiss habe ich immer um meine Kamera, das ist doch nicht normal oder?
Die Älteren hier benutzen auch die öffentlichen Verkehrsmittel und für sie hält der Bus dann an, das geht ohne Knurren. Metro ist natürlich einfacher, aber das heißt nicht, das die Alten nicht an die Busse springen, wie Gazellen ans Wasserloch.
Sonst gibt es hier auch, per Glaube oder nicht, zuvorkommende Menschen, gerade in Bezug auf Alte und behinderte Menschen. Menschen mit Besonderheiten sieht man selten, aber wenn man sie sieht, scheinen sie gut integriert zu sein. Im Freundeskreis des jungen Ahmed gibt es mehrere Jungs mit Auffälligkeiten, was aber weder beachtet wird, noch beredet oder darüber gespöttelt wird.
Als beeinträchtigter Mensch ist die Stadt eine echte Herausforderung, davon gehe ich aus, denn oft steht man vor Stufen, Treppen oder einfach ungepflasterten Wegen. Aber das ist nicht alles denn der Ägypter kennt keine Bürgersteige, also die sind schon vorhanden, aber werden für alles gebraucht als eben als Gehweg. Der Passant läuft neben den drei Reihen geparkter Autos auf der Fahrbahn. Der Bürgersteig, sei er nun edel, gepflegt, unbehandelt, angefeuchtet oder als Arbeitsplatz benutzt, ist sowieso nach dem nächsten Block wieder unterbrochen von der Straße und man macht dann einen großen Schritt, denn der Unterscheid von Bürgersteig zur Straße ist gut einen halben Meter, natürlich plus minus… Der Bürgersteig ….was für ein absurder Begriff, kann für alles genutzt werden, nur nicht zum Flanieren.  Man kann hier auch toll Autos reparieren oder sitzen oder Ware ausstellen oder legen,… Aber um zur Beeinträchtigung zurückzukommen, man bekommt an allen Ecken und Enden Hilfe angeboten, auch wenn man orientierungslos dreinschaut, fragt einen jemand auf Englisch, ob man Hilfe braucht.
Am Abend treffe ich mich mit zwei Freunden und wir gehen Essen. Anschließend bekomme ich noch einen Mittelformatscanner in die Arme gedrückt und kann dann natürlich die Nacht nichts anderes machen als bis morgens um 4 Bilder zu scannen, nach dem ich meinen Monitor kalibriert habe. Herrlich!

01.05. Samstag Den Tag verbringe ich mit Paul, der heute seinen letzten Tag hat und morgen dann in Athen bei meiner Lieblings-Anke weilt und am Sonntag zurück ist in Berlin nach drei Monaten. Gerne trinken wir Kaffee auf Kaffee und abends dann Bier auf Bier und ich darf noch ein letztes Mal so wundervolle Wortkreationen hören wie ‚horstig‘ und ‚freaky‘.
Danke Paul! Ich werde Dich vermissen! RA-RA-RA-OOH-LA-LA-GAGA!

02.05. Sonntag Bilder abholen Bilder scannen, Bilder machen, Bilder scannen, Bilder neu ansehen, Ausbelichtungen abholen. Okay ein Tag im Sinne der Fotografie. Allerdings der verwaltenden. Erst in der Nacht fotografiere ich noch einen Kamerastudenten in seiner Butze. Auch er verlässt das Land Richtung Italien am Wochenende. Und so geht das weiter, den Denis geht wegen seines Projekts nach Ghana und im Anschluss nach Paris für mehrere Wochen.
Das Netz bröckelt, aber bricht nicht, es stehen schon wieder neue Kontakte am Start. Ein paar Leute muss ich noch treffen, die ich noch gar nicht gesehen habe.

03.05. Montag. Ich treffe heute Abanoub. Er ist ein von Denis bevorzugtes Model. Ich mag ihn und seine Freunde, sie treten als Gang auf, in weißen Hemden und schwarzen Hosen, in einer Gegend die mehr als arm ist. Heute ist Abanoub allerdings alleine und auch normal leger gekleidet. Ahmed Ota hilft mir als Dolmetscher aus. Er ist eigentlich krank und besteht aber darauf mitzukommen. Gut ich lasse ihn nicht aus den Augen und mache dann schnell. Er hat Bauchschmerzen und die habe ich dann am nächsten Tag auch. Ein Virus vermutlich, man hört das gerade überall.
Wir befinden uns also wieder in Ezbet El-Nahkl. Nördlich auf der U-Bahnlinie 1 der fast äußerte Punkt. Die Straßen sind aus Lehm und unwegig, der Müll liegt hier etwas höher und man hat hier eine Kanalisation, die man riechen kann. Dennoch eine lebensbejahende endlose Straße mit Passanten und Getümmel. Gewerbe jeglicher Art. Lichter, Farben, Lautstärke, dazwischen knattern die Tuctucs, die immer dort auftauchen, wo es dann noch einmal eine Stufe ‚ärmlicher‘ wird.
Ich muss ja nun von meinem ursprünglichen Konzept abweichen die Jungs in s/w als Gang abzulichten, was aber auch etwas unüberlegt war. Ein Deutscher, groß und blond, mit Stativ, das aussieht wie ein Maschinengewähr (was für einige Diskussionen mit dem U-Bahn Wachschutz sorgt), stellt sich hin spielt mit einem Belichtungsmesser rum, wechselt aufwendig Rollfilme und wundert sich dann das eine Kindermasse um ihn herumsteht. Eine Explosion von Kindern! Nicht vier oder fünf. Ich würde fast ‚hunderte‘ sagen, wenn es nicht leicht übertrieben wäre.
Ich fotografiere jedenfalls Abanoub auf der Straße und er ist sehr konzentriert, was mir schwer fallen würde, hätte ich so viele Kinder vor mir, irgendwann müssen wir tatsächlich flüchten, denn man kann sich nicht mehr bewegen. Wo ist der Rattenfänger von Hameln, wenn man ihn braucht?
Wir lachen eine Menge und machen Quatsch mit den Kindern und dann gehen wir Tee trinken, treffen Abanoubs Vater, der eine Shisha raucht in einem Café und zu meinem geliebten Jensoon, kommt ein neuer Tee dazu ‚Helba‘, den kenne ich nicht, sieht ähnlich aus, aber schmeckt anders. Er ist aus Bockshornkleesamen.
Ahmed 'Ota' hat eine richtigen Job mit mir, denn außer weniger Worte könnte ich mich mit Abanoub gar nicht verständigen, wir schauen uns nur in die Augen und grinsen, aber so viel ist da. Sympathie. Da braucht es keine Worte. Das gleiche beim Vater. Man blickt sich in die Augen und es gibt einen Schulterschlag und eine erneute Einladung und den Tee darf ich wie fast immer nicht selber zahlen.
Am nächsten Tag bin ich krank und der darauf folgende gehört ebenfalls dem Leiden im Bauch, ich sitze und scanne Bilder. Soviel muss gehen. Soviel geht!
Aber auch heute Mittwoch lasse ich langsam angehen, bin mal wieder auf der Jagd nach Filmmaterial, denn ich habe eine neue Adresse bekommen, wo es etwas geben soll. Dann hat mich ein weiterer Fotograf sehr beeindruckt, er heißt Pascale Meunier und hat ein Buch über Hamams im mitteleren Osten gemacht, das werde ich mir heute dann auch gönnen, wenn ich es bei der AUC bekommen kann. Ansonsten gehe ich noch zu Honig Ahemd (Der Honigverkäufer) und bringe ihm Bilder von sich.


War ja versprochen. Wenn ich heute Abend noch kann gehe ich noch zum Sport, aber mehr ist bestimmt nicht drin.

Als nächstes werde ich mich dazu hinreißen lassen etwas über ‚die Rosine‘ zu schreiben. Und nein, das ist nichts zu Essen.

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